Der Jogger
aus Heilige und Scheinheilige
Autor: Jan Cornelius



Es wäre für uns alle langsam Zeit, über den Sport nachzudenken, so wie ich es tue. Schon seit Jahren sage ich mir täglich aufs Neue: „So geht es wirklich nicht weiter! Morgen muss ich endlich anfangen ein bisschen Sport zu treiben!" Es ist mir natürlich bewusst, dass Worte allein nicht reichen, und daher entschloss ich mich vor zwei Wochen endlich zur Tat zu schreiten. Ich begab mich also in das Sportgeschäft um die Ecke und erzählte der Verkäuferin von meinen Absichten. „Was für eine Sportart möchten Sie denn treiben?", fragte sie mich. „Keine Ahnung!", meinte ich und zuckte mit den Schultern. „Was würden Sie mir denn vorschlagen?" „Jogging!", kam sofort die Antwort. „Das ist die Sportart für den modernen Menschen. Es hält den Körper topfit und bewirkt Wunder für die gestresste Seele." „Klasse!", sagte ich froh. „Was braucht man denn alles zum Joggen?"

Nach eingehender fachkundiger Beratung entschloss ich mich, folgende Jogging-Artikel zu erwerben: drei Paar Joggingschuhe, vier Jogginganzüge, drei Stirnbänder und zwei Jogging-Regenschirme, die man sich problemlos auf den Rücken schnallen kann, wenn man beim Joggen vom Regen überrascht wird. „Um Fortschritte beim Joggen zu erzielen, ist es natürlich ratsam, seine Ausrüstung alle zwei, drei Monate zu erneuern", sagte mir noch die Verkäuferin, „also kommen Sie dann in ein paar Wochen unbedingt wieder! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!" „Danke!", sagte ich. Und bevor ich den Laden verließ, kaufte ich mir noch eine digitale Stoppuhr, mit eingebautem Mini-Handy, die die Zeit auf 1/100 Sekunde genau bemessen konnte. Man konnte damit sogar bis auf 300 m Tiefe tauchen, und falls man dann zu schnell auftauchte, gab sie ein Alarmsignal. Sie war zwar sündhaft teuer, doch wenn man schon mal mit dem Joggen anfängt, dann soll man auch Nägel mit Köpfen machen.

Am zweiten Tag nach Büroschluss kaufte ich mir dann das Buch „Mit Jogging sein Leben verändern", das ich in einem durchlas. Jetzt wusste ich ganz genau, was ich zu tun hatte.
Am dritten Tag setze ich mich auf die Couch und schaute mir eine DVD über das Joggen an, danach aß ich drei Kraftriegel, die ich für den Aufbau der Beinmuskulatur dringend benötigte.
Am vierten Tag ging ich mit der Stoppuhr in den Park, um ihre Funktionalität unter Praxisbedingungen zu testen. Ich konnte folgende Zeiten mit absoluter Genauigkeit festhalten: Ein Schäferhund brachte es fertig, eine Joggerin in 2´31" in den Teich zu treiben, und eine kräftige Dogge schaffte es wiederum einen Jogger lediglich in 1´24" in einen Busch zu jagen. Letzteres ging mir nicht mehr aus dem Kopf, und nachts träumte ich, dass auch mich eine wildgewordene Dogge beim Joggen durch die Gegend scheuchte, und als ich zur Seite sprang, fiel ich ganz plötzlich aus dem Bett und so verstauchte ich mir einen Knöchel.

Nun kann ich das Joggen erstmal vergessen! Ich denke, es wäre auch gar nicht das Richtige für mich gewesen. Jetzt habe ich mir aber etwas völlig Neues vorgenommen: Ich werde es 2005 mal ganz ohne Sport versuchen. So schone ich rundum meine Knöchel, und dafür brauche ich auch keine Extra-Ausrüstung.

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